I. Lust und Angst entscheiden, wie wir lernen

Während ich diese Zeilen schreibe, laufen in meinem Gehirn unzählige Prozesse ab, die ich den Kategorien Lust und Angst zuordnen könnte, sofern ich sie bewusst wahrnähme. Dasselbe geschieht auch mit Ihnen, während Sie diese Zeilen lesen. Das menschliche Gehirn ist primär darauf ausgerichtet, Lust zu gewinnen und Angst zu vermeiden.

Alles, was in und mit unserem Körper geschieht, löst in den Neuronen des Gehirns komplexe Prozesse aus, die in ihrer Gesamtheit darüber entscheiden, wie leistungsfähig wir sind und wie wohl wir uns fühlen. Diese Prozesse laufen rund um die Uhr ab, sind in jeder Sekunde aktiv und verändern sich kontinuierlich in jedem Augenblick unseres Lebens.

Im Prinzip verfügen wir alle über innere Apps, auf denen wir unseren momentanen Zustand ablesen können. Auf einer Lust-Unlust-App können wir uns zum Beispiel anzeigen lassen, wie sehr wir das, was wir gerade tun, genießen oder wie sehr wir darunter leiden. Wir wählen in unserem Beispiel eine Skala von minus zehn bis plus zehn für die jeweiligen Lust-Unlust-Werte aus. Da es noch kein physikalisches Gerät gibt, auf dem wir die Werte ablesen können, müssen wir auf ein inneres Messgerät zurückgreifen, und zwar auf unser Spürbewusstsein.

Spürbewusstsein nenne ich die Fähigkeit, eine Relation herzustellen zwischen Impulsen und Empfindungen oder Gefühlen. Angenommen, ein Schüler führt gerade eine mit Unlust verbundene Tätigkeit aus, wie zum Beispiel die Erledigung seiner Hausaufgaben. Dabei tauchen plötzlich innere Bilder auf, die ihn zusammen mit Freunden in dem Freibad zeigen, wo sie sich am späten Nachmittag treffen wollen. Dieser bildhafte Gedankenimpuls löst bei dem Schüler nicht nur wohltuende Körperempfindungen aus, sondern auch ein starkes Lustgefühl. Am liebsten würde er seine kleine mentale Zeitreise in die Zukunft jetzt auch physisch durchführen. Daran hindert ihn aber seine Pflichtaufgabe.

Der Schüler befindet sich nun mitten in einer klassischen Lust-Unlust-Abwägung, die für fast jeden Schüler bezüglich seiner Hausaufgaben zum Alltag gehört. Warum folgt er nicht einfach seinem lustbetonten Gedankenimpuls und macht sich direkt auf den Weg ins Freibad?

Der Grund dafür liegt in einem virtuellen Damoklesschwert, das während der Arbeit über seinem Haupt schwebt, nämlich ein Unlustimpuls in Form von Angst. Die Angst vor den Konsequenzen, mit denen er rechnen müsste, wenn er sich jetzt bei seiner Mutter abmelden würde und diese die unvermeidliche Frage stellte: Bist du denn schon mit deinen Hausaufgaben fertig?

Schüler beim selbständigen Lernen

 Sein Gehirn bräuchte in dieser Situation gar keine Zeitreise in die Zukunft zu unternehmen. Es bräuchte nur auf der organischen Festplatte den Suchbegriff einzugeben: Hausaufgaben ohne Erlaubnis unterbrochen. Dann würden die damit verbundenen unangenehmen Konsequenzen aus der Vergangenheit auftauchen und vor seinem inneren Auge antanzen.

Bei dem Schüler ist genau das gerade passiert und hat einen unbewussten Lust-Angst-Abwägungsprozess in Gang gesetzt. Letztlich beeinflussen nicht nur Beschimpfungen oder kleinere Sanktionen seine Entscheidung, sondern auch die Angst, diesmal die Versetzung nicht zu schaffen, die ihm im letzten Schuljahr nur mit Ach und Krach gelungen war.

Nach einer Lust-Angst-Abwägung steht den Schülern der damit verbundene Stress oft ins Gesicht geschrieben. Wenn starke Lust- und Angstimpulse miteinander ringen, kostet das viel Kraft und Konzentrationsenergie.
Das Mädchen rechts ringt damit, sich von schönen inneren Bildern zu lösen. Ganz scheint ihm dies nicht zu gelingen. Es gehorcht schließlich der inneren oder äußeren Pflicht, indem es sich zwingt, weiterzuarbeiten.

Könnte es jetzt auf seine Motivations- und Energie-App schauen, würde es vermutlich hohe Minuswerte angezeigt bekommen, verbunden mit einem Tipp aus seiner Steuerungszentrale:
Lege dich einige Minuten entspannt auf den Rücken! Folge deinen schönen inneren Bildern, gib dich ihnen ganz hin! Sobald du dich satt geschaut hast, fahre mit deiner Arbeit fort! Sollten dann weitere verführerische Bilder um deine Aufmerksamkeit ringen, schicke sie in eine Umlaufbahn und schaue sie dir an, nachdem du deine Arbeit konzentriert zu Ende gebracht hast!

Der ganze Abwägungsprozess hat nur wenige Sekunden gedauert und die Schülerin versucht gerade, sich neu auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Das fällt ihr nicht leicht, weil das mit Lust verbundene Ablenkungsangebot zwischendurch immer wieder aufflackert. Wie lange sie heute für ihre Hausaufgaben braucht und welche Qualität dabei herauskommt, hängt nun davon ab, wie gut sie mit dem inneren Kampf zwischen Lust- und Angstimpulsen zurechtkommt. Vielen Schülern gelingt das besser, wenn sie dem obigen Tipp folgen.

II. Was bedeutet Lernlust und Lernangst?

Könnte man sich die Ergebnisse einer inneren Lust-Angst-App auf einem Monitor anzeigen lassen, dann sähe man, wie stark Lust und Angst das Lernen prägen. Von diesen beiden gigantischen Impulsgeneratoren hängt ab, wie leicht, wie schnell, wie gut und wie nachhaltig ein Schüler lernt.

Falls Sie sich über die Begriffe Lernlust und Lernangst wundern, befinden Sie sich in guter Gesellschaft. Während zum Beispiel der Begriff Lernlust in der deutschen Sprache kaum gebräuchlich ist, findet man bei der Eingabe des Suchbegriffs „Motivation“ bis zu 700.000.000 Ergebnisse, wie etwa bei Google, Stand Juli 2020. Und dafür gibt es offenbar einen triftigen Grund.

Während man bei der Motivation zwischen von innen kommend = intrinsisch und von außen kommend = extrinsisch unterscheiden kann, ergibt eine solche Differenzierung beim Begriff Lernlust keinen Sinn. Entweder man hat und verspürt sie, oder man hat und verspürt sie nicht. Zwar kann ich von außen durch den Anreiz einer Belohnung dazu bewegt werden zu lernen – lateinisch movere = bewegen – doch das bedeutet nicht, dass ich dann Lernlust verspüre, sondern dass ich beim Lernen eine Lust spüren kann, welche die versprochene Belohnung in mir aktiviert. In diesem Fall würde man von einer extrinsischen Motivation sprechen.

Was jedoch viele Lehrer und Eltern von den Schülern gebetsmühlenartig einfordern, ist die intrinsische Motivation. Nachdem ich bereits bezüglich des Appells zum konzentrierten Lernen – in Anlehnung an Paul Watzlawicks Sei-spontan-Paradoxie – von der Sei-konzentriert-Paradoxie gesprochen habe, gilt hier entsprechend die Habe-Lust-am-Lernen-Paradoxie. Würden die Lehrer und Eltern statt dem Appell: „Du musst halt selbst motiviert sein!“, jene Formulierung verwenden, dann würde ihnen das Paradoxe an ihrer Formulierung vermutlich sofort auffallen. In einem Wikipedia-Artikel wird die Funktionsweise von Paradoxien im Kontext der Doppelbindungstheorie ausführlich beschrieben.

Neben der Tatsache, dass paradoxe Befehle Unsinn sind, haben sie noch eine weitere Gemeinsamkeit, die für das Lernen von einer kaum zu überschätzenden Bedeutung ist. Die als gut gemeinter Ratschlag getarnte Paradoxie ermöglicht es nämlich allen Pädagogen im weitesten Sinne, ihren Schülern den schwarzen Peter zuzuschieben, wenn diese nicht die geforderten Lernleistungen erbringen können. Die Frage, warum ein Schüler in einer bestimmten Lernsituation keine Lernlust empfindet, wird gar nicht erst zugelassen, weil die Antwort darauf bereits feststeht: Es mangelt ihm halt einfach an Motivation.

Ließe man die Frage zu, dann ergäben sich daraus weitreichende Konsequenzen. Dann müssten die Pädagogen für jeden Schüler individuell herauszufinden versuchen, unter welchen Umständen deren Lernlust größer oder kleiner ist. Die Lehrer müssten bereit und in der Lage sein, thematisch, methodisch und didaktisch das individuelle Lernprofil eines Schülers beim Lehren und Lernen zu berücksichtigen.

Auf diese Weise könnten sie die Rahmenbedingungen dafür verbessern, dass die jeweiligen Schüler mehr Lust beim Lernen verspüren und in der Folge bessere Lernleistungen erzielen. Auf der anderen Seite würden auch die Lehrer davon profitieren in Form von mehr Lehrlust und Lehrleistung.

Wenn dies so einfach wäre, dann sähe es in unseren Schulen und an den häuslichen Schreibtischen der Schüler ganz anders aus. Aus meiner eigenen Zeit als Gymnasiallehrer weiß ich, dass die angedachten Veränderungen nicht an der mangelnden Bereitschaft der Lehrer und Lehrerinnen scheitern, sondern an den Rahmenbedingungen, unter denen die meisten von ihnen unterrichten müssen.

In einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2018, wurden die Ergebnisse in Deutsch- und Mathetests von mehr  als 38.000 SchülerInnen ausgewertet.

Die Ergebnisse der Studie belegen, dass die Klassengröße für die schulischen Leistungen ein entscheidender Faktor ist. 

Dies bedeutet, dass Kinder in kleineren Klassen mehr lernen Studie des DIW in Berlin.

Schüler beim selbständigen Lernen

  Sein heißt wahrgenommen werden
               Originaltext: Esse est percipi.

Dieser berühmte Spruch des britischen Philosophen George Berkeley zeigt, worauf es beim Lernen vor allem ankommt:
Als Individuum wahrgenommen werden

Was können Sie nun als Eltern tun, um Ihrem Kind bessere Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Lernlust zu ermöglichen? Sofern Sie finanziell dazu in der Lage sind, Ihr Kind auf eine Schule zu schicken mit einer Schüler-Lehrer-Relation von fünfzig Prozent oder weniger im Verhältnis zu den staatlichen Schulen, stehen die Chancen für eine individuelle Lernförderung Ihres Kindes bereits etwas besser. Sind die Lehrer dann auch noch hoch qualifiziert, und mit viel Lernlust ausgestattet, dürfte Ihr Kind davon in puncto Lernlust und Lernleistung zusätzlich profitieren.

Sofern Sie die Zeit dafür haben und es sich zutrauen, könnten Sie auch selber in Zusammenarbeit mit Ihrem Kind versuchen, dessen Lernlust und Lernleistung zu steigern, ggf. in Kombination mit einem Lerncoach, der Sie punktuell unterstützen könnte, falls Sie bestimmte Probleme nicht allein lösen können. Besonders alleinerziehenden Müttern fällt es oft schwer, viel Zeit und Geld in die zusätzliche Förderung ihrer Kinder zu investieren. Mit den detaillierten Informationen auf dieser Website versuche ich, ihnen die Aufgabe ein wenig zu erleichtern.

III. Wie chronische Lernangst entsteht und effizientes Lernen verhindert

1. Wie sich eine chronische Lernangst entwickelt

Von einer chronischen Lernangst kann man sprechen, wenn sich im Gehirn eines Schülers die Verknüpfung von Lernen und Angst automatisiert hat. Eine solche Verknüpfung wird im Gehirn nicht willkürlich hergestellt. Sie bildet sich aufgrund von Erfahrungen aus der Vergangenheit, die zeigen, dass der Vorgang Lernen gewöhnlich mit einem Gefühl der Enge einhergeht. Der Begriff Angst ist vom lateinischen Wort angustus = eng abgeleitet.

Wie konnte sich dieses Gefühl der Enge beim Lernen entwickeln? Am Anfang war die Weite. Für Babys und Kleinkinder geht Lernen gewöhnlich mit der Erweiterung ihres Aktionsradius einher. Sie entdecken jeden Tag ein neues Stück Welt, lernen jeden Tag etwas, was sie mehr an der Welt teilhaben lässt und erleben ihr Wachstum als einen spannenden unendlichen Prozess der Erweiterung ihres Selbst.

Jedoch machen auch Kleinkinder bereits erste Erfahrungen mit Einengungen, zum Beispiel bei Dingen, die seine Eltern ihm verbieten. Wenn Verbote und Einengungen den Kindern weh tun, haben sie die Möglichkeit, sich den Schmerz aus der Kehle zu schreien, wovon einige mehr Gebrauch machen, als es den Eltern lieb ist.

Sobald die Kinder in die Kita oder Grundschule kommen, nehmen einerseits die Einengungen zu, da jetzt mehr auf die Gemeinschaft Rücksicht genommen werden muss, andererseits wird das Ventil Schreien immer weniger geduldet. Während einige Kinder mit der neuen Situation ganz gut zurechtkommen, tun andere sich schwer damit, dass sie immer mehr einengende Anpassungsleistungen erbringen und immer mehr Stopp-Schilder beachten müssen, wo früher noch nicht eingezäunte weite Weide war. Wenn dem Kind dann auch noch das Schreien verboten wird, das ihm früher ermöglicht hatte, das Gefühl der Enge auszudrücken, das heißt über die Stimme aus sich herauszubringen, dann wird die Enge bleiben und sich eine chronische Angst entwickeln.

Spätestens in der Grundschule wird die bis dahin vorherrschende Einengung, dass das Kind etwas nicht tun darf, was es tun will, in ihrer Bedeutung von einer umfassenderen Einengung abgelöst, dass es nämlich etwas tun soll, was es nicht tun will. So werden für viele Kinder spätestens in der Grundschule die Weichen gestellt für eine Schülerkarriere, die grundlegend von Lernangst bestimmt wird.

Als ich einmal einen zwölfjährigen Schüler fragte, ob er sich noch daran erinnern könne, wann sein extremer Schulhass begonnen habe, antwortete er spontan: „Am ersten Schultag!“ Seine Mutter ergänzte noch, dass der erste Satz ihres Sohnes, als er von seinem ersten Schultag nach Hause kam, lautete: „Da geh ich nie wieder hin!“

2. Wie eine chronische Lernangst das Lernen zur Qual macht

Falls ein Schüler von einer chronischen Lernangst betroffen ist, dann wartet diese bereits auf ihn, wenn er am Schreibtisch Platz nimmt, um mit dem Lernen zu beginnen. Sein Gehirn hat alle bisherigen Situationen abgespeichert, in denen er etwas für die Schule gelernt hat, einschließlich der Gedanken und Gefühle, die damit einhergingen. Sobald der Schüler auch nur daran denkt, eine schulische Aufgabe zu erledigen, werden die Gedanken und Gefühle aus der Vergangenheit auf die gegenwärtige Situation übertragen. Wie es dann weitergeht, habe ich unter Blockaden-Kreislauf beschrieben.

Die Angst transparent machen mit virtuellen Apps

Wir schauen nun auf verschiedene virtuelle innere Apps, die den jeweiligen Zustand des Schülers während seiner kurzen Lernsession aufgezeichnet haben und nun auf einzelnen Monitoren abzulesen sind. Von den drei wichtigsten Apps picken wir uns einzelne Informationen heraus:

2.1 Die Gedanken-App

Meldungen aus dem Unbewussten:

Was sollen diese blöden Aufgaben? Du raffst Mathe sowieso nicht! Hör auf, sonst geht es dir gleich ganz schlecht! Wenn du die nächste Mathe-Arbeit verhaust, kannst du deine Versetzung vergessen. Deine Eltern werden sich freuen. Fällt dir nichts Besseres ein, was du jetzt tun könntest?

Bewusste Gedanken:

Wenn ich mich nicht beeile, komme ich zu spät zum Treffen mit meinen Freunden … Allein werde ich die Mathe-Aufgaben nicht schaffen … Soll ich Ben anrufen? … Lieber nicht! … Wer weiß, ob er sie überhaupt schon gemacht hat? … Ob Ben gleich beim Treffen seine neue Freundin dabei hat? … Eigentlich wollten wir ja Skaten … Hoffentlich kommt nichts dazwischen? … Auf jeden Fall sollte ich vorher noch was essen … Soll ich meine Mutter fragen, ob sie mir bei Mathe hilft? … Lieber nicht … Die würde das wieder endlos in die Länge ziehen … Und wenn sie mich gleich fragt, ob ich mit Mathe fertig bin? … Dann sage ich ihr einfach …! … Ach nein, die will sicher wieder Beweise sehen … OK, dann fange ich mal mit einer Aufgabe an … Dann kann ich später sagen, ich hätte es wenigstens versucht .. . Mist, ich komme nicht weiter … Das soll dann auch für heute reichen … Mein Handy hat ein paar Mal gebrummt … Ich schau mal kurz bei WhatsApp rein …

2.2 Die Körper-App

Die App zeigt an:
Leichte Kopfschmerzen
Hoher Puls
Sehr flache arhythmische Atmung
Müdigkeit
Vereinzeltes Gähnen
Schlappe Körperhaltung
Flüssigkeitsmangel
Unruhige Beine

2.3 Die Gefühle-App

Der Verlauf der Gefühle wird auf einer Skala von plus zehn bis minus zehn angezeigt.

Auffällig ist der Absturz von plus 7,4 auf minus 6,8 in dem Augenblick, als er sich von seinem Smartphone trennte und auf das Lernen vorbereitete.

Während der Schüler versuchte, Mathe zu lernen, gab es starke Schwankungen bei den Gefühlen, und zwar zwischen minus 8,3 – als er mit der einzigen begonnenen Matheaufgabe Schiffbruch erlitt – und plus 5,2 – als er an das Treffen mit seinen Freunden dachte.

Für dieses Beispiel habe ich bewusst einen Schüler ausgewählt, der nicht als klassischer Angsttyp einzustufen ist, da er außerhalb des schulischen Bereichs nur relativ wenig von seiner Lernangst beeinflusst wird. Grundsätzlich besteht aber bei starker Lernangst die Gefahr, dass die Ängste sich immer mehr auf das ganze Leben ausdehnen und zu einer generellen Antriebslosigkeit ausweiten, schlimmstenfalls zu einer chronischen Depression.

Falls du als Schüler auf einer dieser Apps Warnsignale erhältst und nicht weißt, wie du damit umgehen sollst, findest du passende Tipps unter „Was fördert die Konzentration beim Lernen“?

4. Zwei klassische Schülertypen: Der Lusttyp und der Angsttyp

Der Lusttyp kann sich deshalb schlecht auf seine schulischen Belange konzentrieren, weil er fast immer etwas findet, was ihm mehr Spaß bereitet als das Lernen oder das Erledigen von Hausaufgaben.

In der Schule beschäftigt er sich lieber mit seinen Mitschülern als mit dem Unterrichtsgeschehen, und bei den Hausaufgaben ergreift er jede sich bietende Gelegenheit, um für angenehme Ablenkungen zu sorgen, sei es innerlich durch lustvolle Vorstellungen oder äußerlich durch Medien, die schnellen Lustgewinn versprechen.

Versuchen Eltern, ihn zu beaufsichtigen oder beaufsichtigen zu lassen, reagiert er meist mit „Dienst nach Vorschrift“, was darauf hinausläuft, dass er nur ein Minimum dessen leistet, was in der aufgewendeten Zeit möglich gewesen wäre.

Das gewöhnliche Reaktionsmuster des Angsttyps

Hauptmerkmal: der Zweifel an den eigenen Fähigkeiten:

… Angst vor Versagen > eingeschränkte Denkleistung > körperliche Reaktion: Verflachung der Atmung > geringere Versorgung von Gehirn und Körperzellen mit Sauerstoff > Ermüdung und weitere Verringerung der Denkleistung > Frustration wegen ausbleibender Erfolge > vermehrte Anstrengung > Atmung schaltet auf Notaggregat > Denkblockaden und körperliche Erschöpfung > wachsende Diskrepanz zwischen Anstrengung und Erfolg > Unzufriedenheit mit der eigenen Leistung > Zweifel an der eigenen Leistungsfähigkeit > beim Angehen neuer Aufgaben: Angst vor Versagen …

Das gewöhnliche Reaktionsmuster des Lusttyps

Hauptmerkmal: das unkontrollierte Streben nach unmittelbarem Lustgewinn:

… Verdrängung unangenehmer Aufgaben und Nachrichten > unerledigte Aufgaben stauen sich an > schlechte Noten häufen sich > Appelle von außen zu mehr Anstrengung > Appelle werden ignoriert > weiterer Leistungsabfall > Androhung von Zwangsmaßnahmen > Drohungen werden ignoriert > Zwangsmaßnahmen der Eltern > Besserung wird gelobt aber bestenfalls kurzfristig eingehalten > chronisch schlechte Schulnoten > gelegentliche oder regelmäßige Appelle der Eltern an das Pflichtbewusstsein in Verbindung mit Drohungen > bei Zuspitzung: vorübergehend minimalistischer Dienst nach Vorschrift, danach wieder > Verdrängung unangenehmer Aufgaben und Nachrichten …

  Schülertypen: Angsttyp und Lusttyp

In der Praxis treten diese beiden Typen selten in Reinform auf.

Das hängt damit zusammen, dass ein frustrierter Angsttyp, der mit der Zeit die Motivation – seine ursprüngliche Stärke – eingebüßt hat, schließlich ähnliche Symptome zeigt wie der Lusttyp.

Äußerlich mag es dann erscheinen, als sei ihm alles egal. In Wirklichkeit aber leidet er sehr unter seinen Misserfolgen.

Auch der Angsttyp kann sich schlecht konzentrieren, jedoch aus anderen Gründen. Im Gegensatz zum Lusttyp ist er eher übermotiviert und wie dieser kann er Stunden mit dem Erledigen von Hausaufgaben verbringen, die bei konzentriertem Arbeiten in weniger als einer Stunde zu schaffen gewesen wären.

Anders als beim Lusttyp ist seine Flucht in Ablenkungen der verschiedensten Art weniger ein Hinzu in lustbetonte Aktivitäten als ein Weg-von aus den frustrierenden Hausaufgaben, die ihm wegen seines lern-blockierten Kopfes nicht gelingen wollen. Die Bedeutung, die Eltern, Lehrer und Gesellschaft der Schule beimessen, hat er verinnerlicht und will ihr unbedingt gerecht werden.

Diese beiden Schülertypen kommen selten in Reinform vor. In der Regel tendieren Schüler mit Konzentrationsstörungen aber eher zu dem einen oder anderen Extrem. Beide haben auch etwas Gemeinsames, nämlich dass sie sich leicht ablenken lassen: der Lusttyp, weil er sich von Beschäftigungen mit einem höheren Spaßfaktor angezogen fühlt; der Angsttyp, weil er vor einer angstbesetzten, frustrierenden Beschäftigung flieht.

Im Kern unterscheiden sich die beiden Typen dadurch, dass der Lusttyp wie ein Schmetterling stets den Nektar der nahen Blüten vor Augen hat und ohne schlechtes Gewissen sich allen Befehlen zu widersetzen versucht, die darauf hinauslaufen, über ein blütenloses Feld zu fliegen. Der Angsttyp hingegen fliegt gehorsam die Route, die man von ihm verlangt, und hat damit so lange Erfolg, wie er für seine Mühen am Ende belohnt wird mit besonders nahrhaften Blüten in Form von guten Schulnoten und der damit verbundenen Anerkennung von Lehrern, Mitschülern und Eltern.

Bei einem besonders ehrgeizigen und/oder sensiblen Schüler können bereits einzelne Misserfolge ausreichen, um ein gefährliches Blockadesystem in Gang zu setzen, das große Teile des Gehirns lahmlegt und so verhindert, dass er das Ziel erreicht, auf das er sich gut und mühevoll vorbereitet hat. Geschieht dies häufiger, dann kann sich eine fächerspezifische Lern- und oder Prüfungsblockade herausbilden, im schlimmsten Fall eine Potenzial-Blockade, bei der auch der außerschulische Bereich betroffen ist. Ausführliche Informationen zum Abschweifungs-Modus des Lusttyps und den Blockademustern des Angsttyps finden Sie auf den Seiten Lernblockaden und Prüfungsblockaden sowie Hausaufgaben Motivation und Konzentration.

Da jeder Schüler einzigartig ist, gibt es nach meiner Erfahrung keine Methode, die auch nur auf zwei unterschiedliche Schüler gleichermaßen angewendet werden könnte. Für jeden Einzelnen muss ein individuelles Konzept erstellt werden, das auf Alter, Persönlichkeit und die spezifische Situation eines Schülers abgestimmt ist.

Ein solcher ganzheitlicher Ansatz wird auch als systemische Methode bezeichnet. Darauf aufbauend habe ich auf den folgenden Seiten verschiedene Maßnahmen zusammengetragen, mit deren Hilfe Motivation, Konzentration und Lernleistung eines Schülers verbessert werden können und in der Folge auch die Hausaufgaben mit höherer Qualität und geringerem Zeitaufwand erledigt werden können.